Auch Nichtraucher stinken
Mittwoch, 15. Dezember 2010 um 20:33 Uhr
Gastbeitrag des österreichischen Journalisten Christoph Baumgarten
Rauchverbote verkommen vom Nichtraucherschutz zu offener Schikane. Bringen tun sie niemandem etwas. Nicht einmal besseren Geruch.
Bildquelle: aboutpixel.de / Voll © Burkhard Trautsch
Resultat einer Berlinreise: Aus zwei von insgesamt drei Lokalen, die ich abends besuchte, bin ich möglichst schnell geflüchtet. Ich habe den Gestank nicht ertragen. Kalter Kaffee, Putzmittel, Schweiß, Urin, Parfüms, diverse sonstige menschlichen Ausdünstungen, wenn man Pech hat auch noch Red Bull. In einer Intensität, die man nur als ekelerregend beschreiben kann. Und ich lebe mit einem Hund zusammen. Allzu empfindlich ist man da in Bezug auf Gerüche nicht gerade. Nicht anders geht es einem in einer Wiener Disco. Wenn ich meine Mitmenschen so intensiv riechen möchte, gehe ich mit ihnen ins Bett. Und da bin ich etwas selektiver. Aufgedrängt brauch ich diesen Gestank nicht. Weiterlesen
Als man in diesen Lokalen noch rauchen durfte, hat sich der Zigarettenduft dezent über den menschlichen Gestank gelegt. Ein Lokal mit schlechter Lüftung war da noch zu ertragen. Oder eben so schlecht gelüftet, dass man es verlassen konnte, ohne die Regeln der Höflichkeit zu verletzen. „Tschuldigung, selbst mir als starkem Raucher ist das hier zu verraucht.“ Heute möchte ich lieber nicht ausprobieren, zu sagen: „In Ihrem Lokal stinkt’s aber.“ Und jedem Raucher darf man heute ins Gesicht schleudern: „Du stinkst:“ Versuch das mal bei einem Nichtraucher, selbst wenn das objektiv gerechtfertigt ist. Traut sich nie im Leben jemand.
Auch Nichtraucher stinken. Und wie. Das merkt man auch im Zug. Früher konnte sich unsereins ins Raucherabteil flüchten. Mittlerweile geht nicht einmal mehr das. Gestanksbelästigung und man kann sich gar nicht wehren. Und wehe, wenn man sich aufregt.
Nichts gegen besseren Nichtraucherschutz. Nur ist der im Regelfall zu erreichen, ohne Raucher immer und überall und schon aus Prinzip vor die Tür zu schicken wie einen Hund. Auch in der Gastronomie geht das oft, wie auch das österreichische Beispiel zeigt. Das hat seine eigenen Schwächen und Absurditäten. Insgesamt scheint es ein gangbarer Weg zu sein. Über Details usw. kann man gerne diskutieren. (Ich persönlich hätte es lieber, wäre der Raucherraum nicht der an der Theke. Ist gemütlicher – aber dort hält sich das Personal die meiste Zeit auf. Und in kleineren Lokalen kann man meinetwegen auch Raucherräume zur Selbstbedienungszone machen.)
Wer kümmert sich wirklich um Arbeitsbedingungen in der Gastronomie?
Und Deutschland? Schießt übers Ziel hinaus. Man muss es den USA, Irland und Italien nachmachen. Die Gesundheit des Personals wird im Regelfall vorgeschoben. Würde man sich um die Sorgen machen, man würde den Arbeitsinspektor öfter schicken. Die Arbeitszeiten in der Gastronomie, der Stress dort, die miese Bezahlung – das alles sind Faktoren, die sich negativ auf die Gesundheit der Beschäftigten auswirken. Dagegen will niemand etwas tun. Auch nicht gegen den Gestank, den es dort gibt, seitdem die Raucher vor die Türe verbannt wurde.
Nur, das kostet und geht auch zu Lasten großer Lokalketten – die von der Antirauchergesetzgebung am ehesten profitieren. Die können Umsatzeinbußen von einem Drittel und mehr am Anfang locker verkraften. Wenn die Kleinen, wie in Großbritannien, reihenweise pleite gegangen sind, reicht auch der insgesamt kleiner gewordene Kuchen für den Rest. Vorausgesetzt, es schaut sonst niemand nach, wie die Leute arbeiten müssen. Da würden oft genug heftige Strafen fällig. Man könnte auch bessere Lüftungen verordnen. Nicht nur des Rauches wegen.
Gesundheitspolitisches Placebo
Lieber schickt man Raucher generell vor die Türe. Ein gesundheitspolitisches Placebo. „Wir tun ja eh was und so ganz nebenbei haben wir einen Sündenbock, dem wir viele Berufskrankheiten in die Schuhe schieben können.“
Der Raucher wird zum Buhmann: Egoistisch, moralisch verkommen, willensschwach und kosten tut er überdies noch viel. Ein Versager eben. Einer, der selbst schuld ist an seinem Unglück. An einem Unglück, das man am besten noch vermehrt. Fehlt nur noch, dass staatliche Behörden ähnlich wie die WHO nur mehr Nichtraucher aufnehmen.
Statistiken sind unzuverlässig
Unterfüttert wird die primär moralisch geführte Diskussion mit Statistiken, über deren Zustandekommen man nur den Kopf schütteln kann. Da fliegen Zahlen hin und her, die sich um einen Faktor 10 unterscheiden und niemanden stört‘s. Vor wenigen Jahren noch behaupteten Österreichs Lungenfachärzte in einer Pressekonferenz, 7.000 Österreicher würden jährlich an den Folgen des Passivrauchens sterben, davon 1.000 Gastronomiebeschäftigte.
Die EU-Kommission, keineswegs raucherfreundlich, argumentierte zur gleichen Zeit mit 19.000 Toten durch Passivrauchen EU-weit. Die EU-Zahl beträgt mittlerweile 40.000, Österreichs Lungenfachärzte haben ihre Schätzung klanglos auf 1.000 korrigiert.
Die WHO argumentiert weltweit mit 650.000 Toten durch Passivrauchen. Abgesehen davon, dass das nur eine Schätzung sein kann – man darf getrost bezweifeln, dass es auch in Ländern mit de facto inexistenter medizinischer Versorgung eine verlässliche Datenerhebung gibt – überrascht, wie gering die Zahl ist, die die explizit raucherfeindliche WHO nennt. Das ist nicht einmal ein Prozent der weltweiten Todesfälle.
Hunger, AIDS und Co - wurscht
Vergleicht man das mit anderen ebenfalls vermeidbaren Todesursachen, wirkt der Zirkus ums Rauchen grotesk. Wie viele Menschen verhungern jährlich auf einer Welt, auf der genügend Nahrungsmittel produziert werden, um jeden Menschen zweimal zu ernähren? Wie viele Menschen sterben daran, dass sie kein sauberes Trinkwasser haben? Wie viele Menschen sterben daran, dass ihnen westliche Pharmakonzerne leistbare Medikamente gegen AIDS verweigern? Und dann gibt’s noch die klassischen Armutserkrankungen wie TBC.
Nicht, dass ich ein Verfechter des Losrauchens an jedem Ort zu jeder Zeit bin. Rauchverbote dort, wo sie Sinn machen, gerne. Hier geht es nur darum, Relationen herzustellen. Ein Raucherkammerl am hinteren Gang in einem Bürogebäude schadet niemandem. Allein, darum kümmern sich die Behörden in Ländern, wo selbst das verboten ist. Würden sie die selbe Gründlichkeit in der Nahrungsmittelindustrie an den Tag legen, im Arbeitnehmerschutz in der Industrie, bei der Überwachung der Arbeitsbedingungen im Handel und der Gastronomie – die Gesundheit wie vieler Menschen alleine in der westlichen Welt könnte verbessert werden?
Würde die EU das Geld für ihre Antiraucheraktivitäten in eine funktionierende Nahrungsmittelverteilung in der so genannten Dritten Welt stecken oder damit Kläranlagen bauen – wie viele Menschen könnten gerettet werden?
Es geht nicht um Gesundheit
Lieber macht man weiter mit der Schikane. Es geht nicht um Gesundheit. Es geht darum, Sündenböcke zu schaffen, Aktivität vorzutäuschen – und darum, dem Einzelnen die volle Verantwortung für den eigenen Körper aufzubürden. Ohne ihm die Möglichkeit zu geben, diese Verantwortung wahrzunehmen. Biopolitik nennt das Michel Foucault Alleine in der westlichen Welt kommt jede zweite Erkrankung aus dem Berufsleben.
Wie viele andere aus armutsbedingter mangelhafter Ernährung stammen bzw. aus dem Stress, den Armut verursacht, wäre ebenfalls interessant. Nur, genau solche Fragen um gesellschaftliche Verantwortungen werden mit dem Feldzug gegen Raucher ausgeblendet. Was die Basis für weitreichendere Biopolitik legt. Auch das ein Argument, um gegen weitere Schikane aufzutreten.