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Eingebildeter Geruch vor Gericht

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Rauchen auf der eigenen Terrasse in Dortmund

Dortmund-Grevel, ein idyllisches Kuhdorf am nordöstlichen Rand der einstigen Bier-, Kohle- und Stahlmetropole. Hier könnte man Ruhe finden, aber es darf der Bravste bekanntlich nicht in Frieden leben, wenn’s den bösen Nachbarn nicht gefällt. In einer kleinen Reihenhaussiedlung aus den 90er Jahren lebt das Ehepaar Andrea und Dirk Dowe. Seit einem Autounfall sind beide behindert und erwerbsunfähig. Außerdem rauchen beide, in ihrer Küche und auf der Terrasse. Vor anderthalb Jahren wurden sie auf einmal zur Zielscheibe zweier in Nachbarhäusern lebender Paare. Ein Nachbarschaftsstreit brach los, es wurden Unterschriften gesammelt, wie beim Mobbing auf dem Schulhof ging es gegen die vermeintlich Schwächeren. Die Dowes sollten gefälligst mit dem Rauchen aufhören, da der Rauch auf der Terrasse in die Schlafzimmer der Nachbarn ziehe und der Rauch in der Küche sogar über die Lüftungsklappe der Dunstabzugshaube auf der Vorderseite ins Nachbarhaus dringe. Eine Klage vorm Amtsgericht soll bewirken, dass die Dowes nur noch zu bestimmten Uhrzeiten in ihrem eigenen Garten und im eigenen Innenraum Tabak genießen dürfen.

Ehepaar Dowe

Foto: Ehepaar Dowe (c)

Vermutlich angestachelt über die Berichterstattung über den rauchenden Düsseldorfer Friedhelm Adolfs (den man auch nach Jahren bisher nicht aus seiner Wohnung hat klagen können) , scheinen einige Nachbarn der Meinung zu sein, dass man es mit den Rauchern ja machen könne. Die Antirauchhysterie mit ihren Eingriffen in die Privatsphäre wird so zum Kampfmittel im Nachbarschaftsstreit instrumentalisiert.
Tatsächlich ist kaum anzunehmen, dass der sich an der Außenluft schnell verflüchtigende Rauch sich einer Rakete mit Zielautomatik gleich durch die Fenster der klagenden Parteien bewegt, erst recht nicht zwei Häuser weiter, wo ein Klägerpaar wohnt.
Während die Gerichte es im ursprünglichen Verfahren bei Friedhelm Adolfs über zwei Instanzen versäumt hatten, in eine vernünftige Beweiserhebung zu treten, führte das Amtsgericht Dortmund bei den Dowes und ihren Nachbarn die erforderliche Ortsbesichtigung durch. „Ortserschnüffelung“ wäre vielleicht der treffende Begriff, und am vergangenen Mittwoch fand der Termin nun statt, bei medialem Interesse.  Ein Praktikant und Rechtsreferendar am Amtsgericht mussten auf der Terrasse testrauchen und zwar unnatürlich viel, nämlich ungefähr acht Zigaretten in gut 20 Minuten. Anschließend musste der Praktikant in der Küche ebenfalls eine Zigaretten anzünden und diese teilweise durch die laufende Dunstabzugshaube ausatmen. Die junge Amtsrichterin bemühte sich ihrerseits darum, einschlägige Außen- und Innenbereiche der Nachbarn auf etwaige Geruchsspuren zu testen.

Familie Dowe auf ihrer Terrasse

Foto: Famile Dowe auf ihrer Terrasse (c)

Und was kam raus bei diesem seltsamen Spektakel? Wie der Anwalt der Dowes verlauten ließ und wie zu erwarten war, konnte die Richterin nichts erschnüffeln. Nada, null, niente. Alles eingebildet von Nachbarn, die schon zu husten beginnen, wenn die Dowes auf der Terrasse ein Feuerzeug klicken lassen. Autosuggestion ist eine Macht. Die in anderen Fällen auf anderen Kontinenten schon so weit ging, dass Betroffene behauptet haben, Rauch aus Nachbarwohnungen ziehe durch Steckdosen und Wohnungsböden zu ihnen.
Wie bei einem verhärteten Nachbarschaftsstreit kaum überraschend wollen die Kläger sich damit nicht zufrieden geben und vor einem Urteil weiteren Aktivitäten entfalten.

Küchenfenster der Dowes mit Abzug

Foto: Küchenfenster der Familie Dowe mit Abzug (c)


Die Dowes rauchen weiter. Sie haben allerdings schon erwogen, aufgrund ihrer Behinderungen aus dem mehrstöckigen Haus in ein ebenerdiges Domizil zu ziehen. Für diesen Fall ist geplant und nicht unwahrscheinlich, dass an ihrer Stelle Flüchtlinge Unterkunft im Haus finden. Das wäre gewiss eine Win-Win-Situation: Die Nachbarn könnten ihren Horizont erweitern, indem sie Menschen kennenlernen, die mit realen Problemen – und nicht nur eingebildeten – zu kämpfen haben. Und den Flüchtlingen böte sich ein Einblick in die Abgründe der deutschen Kleinbürgerseele.

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