Balinger Wirt erhängt sich infolge der Rauchverbote
Mittwoch, 09. April 2008 um 00:00 Uhr
Uli Stegmaier, Wirt des Gasthauses "Zum Bären" im Baden-Württembergischen Balingen wählte den Freitod aus tiefer Verzweiflung: Hoffnungslosigkeit über die für ihn unerträglichen Eingriffe in seine persönliche und unternehmerische Freiheit trieben ihn zu dieser Tat. In seinem Abschiedsbrief klagt er die katastrophalen sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen der "Nichtraucherschutzgesetze" an.
Der Unternehmer und Gastwirt aus Berufung hatte das gut gehende Balinger Gasthaus fast dreißig Jahre lang mit Leidenschaft und Herzblut geführt. Als im vergangenen Spätsommer die Rauchverbote kamen, engagierte er sich zusammen mit Gastronomie-Kollegen für eine Sammelklage gegen das Land Baden-Württemberg, um die staatliche Bevormundung und den inakzeptablen Eingriff in seine unternehmerische Freiheit doch noch abzuwenden. Doch rasch sah Uli durch die staatlichen Eingriffe seine Existenzgrundlage gefährdet und zuletzt verließen ihn dann auch noch Mut und Hoffnung, als er mit ansehen musste, wie die soziale Gemeinschaft in dem Kultlokal zerbrach. Er vermochte keinen anderen Ausweg aus dem unverschuldeten Dilemma mehr zu erkennen, als aus dem Leben zu scheiden. Uli Stegmaier hinterlässt eine Familie mit fünf Kindern.
Wir sind erschüttert und zornig zugleich, wütend auf einen Staat, der durch seine verbissen-ideologische Bevormundungspolitik Gäste entmündigt und Wirte zwangsenteignet. Dieser Staat hat zusammen mit seinen Ratgebern schwere Schuld auf sich geladen.
Unsere tiefe Anteilnahme und unser herzliches Beileid gilt in dieser schweren Stunde den Angehörigen.
Kommentar von Quirinus"Wirt erhängt sich wegen Rauchverbot" - ?
Das ist, so glaube ich, zu kurz gegriffen; denn wohl jeder Suizid hat eine lange und komplexe Vorgeschichte. Aber:
Wie wir alle nicht erst seit dem von Peter Alexander gesungenen Schlager wissen, war DIE KLEINE KNEIPE IN UNSERER STRASSE ein Ort, wo das Leben noch lebenswert ist - nicht nur für die Gäste, sondern oft genug auch für die Wirte, zumal für die älteren unter ihnen. Die kleine Kneipe von einst war ihr Wohnzimmer; genauer: ihre Heimat in einer Welt, worin dieser Begriff und die damit zusammenhängenden Gefühle nichts mehr gelten. Und je mehr ganz private Sorgen sie hatten, desto wichtiger war ihnen dieser Ort; vielleicht der einzige, an dem ihr Wort noch etwas galt. Ich jedenfalls kenne viele solcher Wirte: heimliche Seelsorger, die von ihren Gästen auch psychisch so abhängig sind wie die Gäste von ihnen. Die Kneipe als Familienersatz. Die Kneipe als der vielleicht letzte soziale Halt all derer an der Theke; in einer immer unwirtlicher werdenden Welt. Die Kneipe: eben nicht nur irgendein BETRIEB, sondern HEIMAT.
Auch und gerade deshalb sind die Rauchverbotsgesetze so bedrohlich. Sie ruinieren nicht nur materielle, sondern eben auch psychische Existenzen. Sie rauben den zwangsmodernisierten Menschen den allerletzten Ort, an dem sie sich sozial geborgen und zugleich frei fühlen konnten. Sie rauben all denen, die jetzt noch mit Herzblut Wirte sind, ihre Identität und damit das Gefühl, daß ihr Leben einen Sinn hat: nämlich eben nicht nur den als Alkoholausschenker, sondern als Seelsorger. Wer Eck- und Szenekneipen kennt, dem brauche ich das nicht zu erklären.
Die MPLs, die Bindings und die Bätzings wissen nichts von alledem. Sie wissen nicht, was es (vom Gelde mal ganz abgesehen) für einen Wirt bedeuten kann, seine Gäste zu verlieren, und für die Gäste einer Kneipe, sich dort nicht mehr zu Hause fühlen zu können, weil das Rauchen verboten ist. Sie wissen nichts von all diesen Dingen, weil sie - wie wohl die allermeisten Karrieristen - nichts mehr von HEIMAT wissen: von einem Ort also, an dem der Mensch so sein darf, wie er ist, und das eben auch als Raucher und als Trinker und als einer, dessen Body-Mass-Index nicht der Norm entspricht. Sie wissen nichts mehr von den Menschen, wie sie wirklich sind. Sie wissen nur noch etwas davon, wie die Menschen sein sollen. Wer nicht voll und ganz ihrem standardisierten Menschenbild entspricht, der gilt als krank, ja sogar als kriminell.
Vor diesem Hintergrund betrachte ich den Suizid des Kneipenwrts aus Balingen. Er hatte, wie ich annehme, jede Menge Probleme und Sorgen. Doch daß er sich in seiner eigenen Kneipe und damit auch in Deutschland, seinem Lande, nicht mehr zu Hause fühlen konnte, des sog. Nichtraucherschutzes wegen, wird ihm den Rest gegeben haben. Und ich befürchte, daß sein Suizid kein Einzelfall bleiben wird. Solange es noch Menschen gibt, die ihre Heimat lieben, wird es Menschen geben, die sich umbringen, weil man ihnen ihre Heimat nimmt.
Das aber werden die neuen glatten Menschen à la Bätzing & Co wohl nie verstehen. Sie sind überall einsetzbar. Sie fühlen sich überall wohl. Sie sind so flexibel wie das Kapital.